Eine Meinung des Gemeinderats Michael Gierlinger:
Nichtöffentlich und öffentlich wird seit einiger Zeit im Gemeinderat und in der gesamten Gemeinde diskutiert, ob wir ein neues Gewerbegebiet brauchen und wo es entstehen könnte.
Unter anderem könnte man den schon im Flächennutzungsplan ausgewiesenen Teil zwischen Angerl & Fröschenthal neu beantragen. Dieses Gebiet wäre etwa nur halb so groß wie das vom Bürgerentscheid abgelehnte frühere Gewerbegebiet für die Firma Steinbichler und andere meist ortsansässige Firmen. Seit langem im Gespräch ist ein Grundstück Richtung Rohrdorf. Bisher war die Planung dort abgelehnt worden, weil dieser Grund nicht an unsere Siedlungsbereiche angebunden war, es bestand das sogenannte “Anbindegebot“, das eine Zersiedelung im ländlichen Bereich zu verhindern hat. Diese Regelung soll jetzt im neuen Landesentwicklungsplan deutlich gelockert werden, was Gewerbe- und Wohngebiete „auf der grünen Wiese“ mit allen Vor- und Nachteilen ermöglichen wird.
Das Hauptargument der Befürworter des Bürgerbegehrens, dem 62% der Wähler zugestimmt haben, war, dass der Ortseingang von Altenbeuern verschandelt würde. Dieses Argument gilt meines Erachtens auch für Flächen zwischen Rohrdorf und Neubeuern. Wenn man in Rohrdorf die Autobahn verlässt und Richtung Neubeuern fährt, werden, wenn wir nichts dagegen tun, in absehbarer Zukunft links und rechts über die gesamte Strecke Gewerbehallen und –gebäude die Straße begleiten. Wie das aussieht, kann man in vielen Teilen Bayerns und Tirols schon besichtigen. Wenn wir freie Flächen erhalten wollen, ist es egal, ob die Bauten zwischen Rohrdorf und Altenbeuern errichtet werden oder direkt vor dem Ortseingang.
Die Grundstücke, die sich östlich des heutigen Gewerbegebiets Heft befinden, stehen für eine Erweiterung von Heft nicht zur Verfügung. Neubeuern und Altenbeuern sind durch ihre kleine Gemeindefläche und durch Bebauungssperren extrem eingeengt. Südlich befindet sich das Wasserschutzgebiet, östlich die nicht bebaubaren Gebirgsausläufer, westlich das Landschaftsschutzgebiet Inntal. Nur im Bereich zwischen Winkl, Neuwöhr, Krautäcker, Fröschenthal und Pinswang gibt es Gebiete, die theoretisch bebaut werden könnten.
Eine Raublinger Freundin hat mir mal in einem Gespräch gesagt: “Ihr Neubeurer macht es euch einfach. Die anderen bauen die Gewerbegebiete und bei euch kann man schön wohnen.“ Ich habe darauf geantwortet: “Damit habe ich als Neubeurer keine Probleme. Nicht jede Gemeinde muss dasselbe tun.“ In unserer Umgebung entstehen dermaßen viele Gewerbegebiete (z.B. Brannenburger Kaserne, Panger Felder, Thansau usw.), dass es uns Neubeurer Bürgern um Arbeitsplätze für uns und unsere Kinder nicht bang werden muss. Ich sehe, wenn überhaupt, höchstens einen Bedarf an Wohngebieten. Gewerbegebiete werden eingerichtet, weil die Gemeinde mehr Gewerbesteuer einnehmen will und weil ortsansässige oder auswärtige Firmen Erweiterungsmöglichkeiten oder Betriebsverlegungen planen. Das Thema Gewerbesteuer ist sehr zwiespältig. Immer wieder wechseln Betriebe ihre Eigentümer, machen Verluste, tätigen große Investitionen und in der Folge bricht die Gewerbesteuer kurz- oder sogar langfristig ein. Auch noch so maßgeschneiderte Gewerbegebiete, wie wir sie in Neubeuern in der Vergangenheit geschaffen haben, passen in kurzer Zeit nicht mehr zur Strategie der Firma, für die sie konzipiert wurden.
In der Versammlung vor dem Bürgerentscheid hat ein Bürger argumentiert, dass er nicht verstehen könne, wenn immer vor der Gefahr des Wegzugs einer oder mehrerer Firmen gewarnt würde. Eine wegziehende Firma würde Hallen und Büros hinterlassen, die hochwertig und in begehrter Lage bald neue Interessenten finden würden. Beim Akzentagebäude konnten wir das miterleben.
Im Gegensatz zur Gewerbesteuer ist der Anteil der Einkommenssteuer für unsere Gemeinde viel verlässlicher. Sollten wir z.B. planen, ein neues Wohngebiet zu errichten, dann haben wir nachher über Jahrzehnte stabile Einkommenssteuerzuweisungen der dort ansässigen Familien. Wer sich ein Haus bei uns leisten kann, zahlt auch Steuern. Wenn eine Familie sich ihr Haus oder Grundstück nicht mehr leisten kann, verkauft sie an den Meistbietenden, und der Käufer zahlt auch wieder brav seine Einkommenssteuer. Auf einer Fläche von z.B. 10000 qm kann man eine oder mehrere Firmen ansiedeln oder ca. 15 Ein- und Mehrfamilienhäuser bauen. Während Betriebe Gewerbesteuer zahlen, erhalten die zuziehenden Familien unsere Infrastruktur, d.h. Kindergärten, Schulen, Sportvereine, Geschäfte, Gaststätten usw. Natürlich schaffen Betriebe auch Arbeitsplätze (die gemeindlichen Einrichtungen übrigens auch), aber wo sollen die zusätzlichen Menschen wohnen, die überall hier und in der Umgebung Arbeit finden?
Zusätzliche Bürger bedeuten für die Gemeinde natürlich auch zusätzliche laufende Kosten (z.B. Kindergärten, Schulen). Aber es gibt da noch einen interessanten Unterschied zu Gewerbebetrieben. Während Letztere ihre Einkäufe nur in geringem Ausmaß in der direkten Umgebung tätigen, geben Familien einen Großteil ihrer Ausgaben für Lebensmittel, Haushalt usw. im Ort und in den Nachbarorten aus. Bis zu einem Grenzwert von 70000 €/Jahr Einkommen für Familien wird jede Gemeinde mit 15% der Lohn- und Einkommenssteuer beteiligt (darüber hinaus gar nicht). Eine Familie zahlt damit indirekt circa 3000 € pro Jahr in die Gemeindekasse, bei einem Wohngebiet von 10000 qm mit 15 Familien wären das stabile Einnahmen von 45000 € pro Jahr.
Für die erheblichen Zukunftsaufgaben (Abwasserleitungen, Klärwerk, Um- oder Neubau des Gemeindeamts, Energiewende usw.) reichen unsere finanziellen Mittel aus meiner Sicht aus, wenn wir vernünftig und sparsam damit umgehen.
Ich fühle mich als Gemeinderat in der Pflicht, die Bürger zu vertreten, die mit 62% im Bürgerentscheid gegen das geplante Gewerbegebiet gestimmt haben und von denen viele auch gegen jedes andere Gewerbegebiet sind. Bisher sind Gemeinderatsentscheidungen oft so getroffen worden, dass wir uns zwischen den Varianten A,B,C entscheiden mussten und ich mich dann für die am wenigsten ungeeignete Lösung entschieden habe. Ich sehe aber bei der zukünftigen Entscheidung über jedes Gewerbegebiet eine potentielle Mehrheit im Gemeinderat gegen eine Planung.
WENN die 3 Gemeinderäte von SPD und Grünen, WENN die 3 Landwirte im Namen ihrer Kollegen, WENN ein Teil der Bürgernahen (d.h. doch Bürgerentscheidnahen), der CSU und der Freien zusammenfinden, dann ist eine Mehrheit von 9:8 oder 10:7 gegen ein Gewerbegebiete möglich. Es gibt also nicht mehr die Ausrede für mich, die anderen hätten es sowieso durchgesetzt und deshalb hab ich halt auch für die erträglichste Variante gestimmt.
Zusammenfassung: Mir wäre am liebsten, wenn wir in den nächsten 10 Jahren auf zusätzliche bebaute Flächen verzichten würden. Wenn aber später aus Gründen der Gemeindefinanzen an eine Erweiterung gedacht wird, wäre ich eher für eine Wohnbebauung als für ein Gewerbegebiet.
Zukunftsaussichten: Halb positiv und halb negativ sehe ich das Inntal in 20 Jahren vor mir. Die Panger Felder sind vielleicht schon total überbaut worden, von Ziegelberg über Thansau bis zur Autobahn fährt man nur durch Gewerbegebiete, aber hinter Rohrdorf wird es grün und die Landschaft ist wieder offen – und dann kommt man in das immer noch schönste Dorf weit und breit: Neubeuern.
Für die Politik der Nachbargemeinden sind wir nicht zuständig, aber hier bei uns können wir die Richtung der Gemeindeentwicklung bestimmen: weiterer Flächenverbrauch oder extreme Zurückhaltung bei der Ausweisung von noch unbebauten Flächen. Wir (Gemeinderäte und Bürger) können uns entscheiden.
Mit freundlichen Grüßen Michael Gierlinger