Was unterscheidet die Parteien in Neubeuern doch?

Dazu muss ich zunächst feststellen, was sie nicht unterscheidet. Wir Gemeinderäte und Gemeinderätinnen waren uns bisher einig, dass wir keine Fraktionen bilden, die mit Fraktionsdisziplin abstimmen. Das macht die Arbeit unseres Gemeinderats interessanter als die vieler Nachbargemeinden, wo in den Fraktionen oder in beratenden Ausschüssen Beschlüsse soweit vorbereitet werden, dass sie in der Gemeinderatssitzung mehr oder weniger nur noch abgenickt werden. Wir alle sind stolz darauf, dass bei uns immer noch jeder seine eigene Meinung vertreten kann. Dies führt zwar oft zu langen Diskussionen, ist aber sehr demokratisch und verleiht dem Gemeinderat eine Bedeutung, die er in vielen Nachbargemeinden nicht hat.

Wenn eine(r) von uns ein Haar in der Suppe findet, dann ist schon oft ein vorher sicherer Beschluss zurückgewiesen, verändert oder abgelehnt worden. Unsere Verwaltung kann sich vor Überraschungen nie sicher sein. Und nach der Sitzung gehen wir immer fast vollzählig noch zur Nachsitzung zum Wirt. Einig waren wir uns bisher auch darin, dass wir kommunale Aufgaben wie Wasser, Abwasser, Bauhof nie privatisieren würden. Der Flächennutzungsplan, der noch in der letzten Gemeinderatsperiode unter unserem damaligen Bürgermeister J.Tremmel ausgearbeitet wurde, hat eine maßvolle Erweiterung der Gemeinde in Bezug auf Wohn- und Gewerbegebiete und Bevölkerungswachstum festgeschrieben. In der jetzigen Wahlperiode kam es zu Veränderungen, die noch nicht abgeschlossen sind und die noch viel weiter und tiefer gehen werden. Obwohl die Bevölkerung seit einiger Zeit viel mehr in die Planungs- und Entscheidungsphasen großer Projekte wie des Flächennutzungsplans eingebunden wurde als in früheren Jahrzehnten, kam es zu Protesten, die schließlich in Bürgerentscheiden gipfelten (2012 Gewerbegebiet, 2013 Marktplatzgestaltung). Für mich als Gemeinderat war die Entscheidung, ein Gewerbegebiet rund um Angerl an der Staatsstraße Richtung Rohrdorf zu befürworten, Folge einer langen Auseinandersetzung und fruchtbaren Diskussion im Gemeinderat. Nachdem unsere allgemein favorisierte Lösung östlich vom jetzigen Gewerbegebiet Heft und auch die unserer damaligen Meinung nach zweitbeste Lösung an der Kreuzung Staatsstraße Rohrdorf-Straße zum Zementwerk Rohrdorf (sog. Viehweid) nicht möglich waren, einigten wir uns im Gemeinderat auf die Angerl-Lösung. Als bei der Informationsveranstaltung der Gemeinde in der Beurer Halle von den Initiatoren des Bürgerbegehrens zum Schluss erwähnt wurde, dass sie schon mehr als 800 Unterschriften (und damit über 25% der Wahlberechtigten) hinter sich hatten, war ich zugegebenermaßen überrascht. Eine so eindeutige Entscheidung wie später mit 60% für den Bürgerentscheid war für mich ein Einschnitt in meiner gemeindepolitischen Arbeit, aus dem ich Lehren ziehen musste. Als ich in einer Gemeinderatssitzung 2012 vorschlug, wir bräuchten ein „Frühwarnsystem“ für sensible politische Entscheidungen, traf das bei der überwiegenden Mehrzahl meiner Kollegen auf Unverständnis und Spott. Wir hatten früher alle gedacht, wir wären als Gemeinderatsmitglieder in unserer Vielfältigkeit und Unterschiedlichkeit ein getreues Abbild der Dorfbevölkerung. Dies war aber offensichtlich nicht mehr der Fall. Bei der Umgestaltung des Marktplatzes kam es wieder dazu, dass Unmut und Kritik aus der Bevölkerung nicht gehört, nicht akzeptiert oder verächtlich abgetan wurden. In der ersten Abstimmung war ich für die Erhaltung der Kastanienbäume (zusammen mit Klaus Spatzier und Franz Steinkirchner), aber ich persönlich akzeptierte die Entscheidung der Gemeinderatsmehrheit, den Hofwirtsbichl abzuflachen und die Kastanien zu beseitigen, obwohl die Grundlagen der Planung dafür mehrmals geändert und mehr als fraglich waren. Als bayerischer Sozialdemokrat bin ich verlieren ja gewohnt. Als sich Widerstand in der Bevölkerung zeigte, war ich erst zurückhaltend, brachte aber mit anderen Gemeinderatskollegen die Argumente der Baumfällungsgegner immer wieder ein. Nach der Fällung der Kastanien ohne Wissen des Gemeinderats fühlte ich mich nicht mehr an den Mehrheitsbeschluss gebunden. Ich habe die neue Unterschriftenliste zum Bürgerbegehren gerne und aus Überzeugung unterschrieben. Aus meiner Sicht wurde die Mehrheitsentscheidung der Bürger von der Gemeinderatsmehrheit unterlaufen, weil wegen einer missverständlichen Formulierung der Hofwirtsbichl, der laut Bürgerbegehren nicht verändert werden sollte, mit dem Oberen Marktplatz gleichgesetzt wurde. Die Bürgerinitiative wollte nie die Pflasterung am Oberen Marktplatz verhindern.

Einige Gemeinderäte und beide Bürgermeister haben erst durch diese Auseinandersetzung bemerkt, dass in unserer Demokratie der Souverän das Volk ist, hier also die gesamte Bürgerschaft von Neubeuern. Wir Gemeinderäte und Bürgermeister sind zwar gewählt, aber wir sind und bleiben Stellvertreter der Bürger. Wir haben mit der Wahl nicht einen Freibrief zur Selbstverwirklichung oder Selbstaufopferung bekommen, sondern müssen unsere Standpunkte und Entscheidungen auch immer wieder am Bürgerwillen orientieren, uns hinterfragen, zuhören und dazulernen. Für mich bedeutet die Erfahrung mit den beiden Bürgerbegehren, dass es eine mehrheitsfähige Bewegung gibt, die die bauliche und flächenmäßige Entwicklung unseres Dorfs auf das unbedingt nötige Maß beschränken will. Ich muss feststellen, dass ich vor meinem Einstieg in die Gemeinderatsarbeit dies alles auch viel kritischer gesehen habe als dann mittendrin in der Entscheidungsplanung und –findung.